Rede zur Altstuhlmeisterarbeit in der Johannis Loge zum Silbernen Schlüssel im Orient Bremen No. 638 am 4.1.2023

Liebe Brüder, vor kurzem sind wir bei einem Gesprächsabend zusammengekommen und haben da über das Thema Freiheit gesprochen. Dabei ging es vor allem um unsere Prägungen. Es entspann sich ein fruchtbarer Dialog, in dem viele Brüder von sich berichtet haben, wie sie von Eltern, Umgebung und Freunden geprägt wurden und welchen Einfluss das auf uns heute hat.

Die Betrachtungen konzentrierten sich stark auf unsere Vergangenheit und darauf, was uns damals zu dem gemacht hat, das wir heute sind. Aber ist dieser Prozess wirklich bereits abgeschlossen? Sind wir jetzt der, der wir glauben zu sein? Sind wir wirklich souverän und frei? Was prägt und beeinflusst uns eigentlich heute?

Als Freimaurer wollen wir uns durch das Ritual und die Arbeit entwickeln , uns selbst erkennen. Wenn wir das ernst nehmen, dann sind wir im Grunde nie fertig, sondern befinden uns in einem permanenten Prozess. Einem Prozess, in dem wir, unterstützt durch unser Ritual und die Brüder, versuchen, ein besserer Mensch werden. 

Ein freier Mann von gutem Ruf sollen wir sein, wenn wir aufgenommen werden aber können wir das zu diesem Zeitpunkt schon wirklich sein oder können wir das erst durch die Arbeit am rauen Stein werden? Wie frei sind wir wirklich?

Als erwachsene Menschen gehen wir zumeist davon aus, dass das, was wir denken, tun oder sagen, das Ergebnis unserer eigenen Werte, Überzeugungen oder Überlegungen ist. Aber stimmt das wirklich? Sind wir wirklich unabhängig? Sind wir nicht abhängig vom Urteil anderer, ggf. aus wirtschaftlichen Gründen? Wie frei kann man sein, wenn man von etwas abhängig ist?

Wie sieht es heute bei uns aus, wenn wir erwachsen sind, wenn wir im Beruf und sozialen Kontexten stehen? 

Sind wir in der Beurteilung der Dinge wirklich frei? Was beeinflusst uns heute? Welche Menschen bestimmen unser Weltbild, unsere Sicht der Dinge und vor allem, unser Verhalten jeden Tag?

Lasst mich eine These wagen: Wenn wir uns zu aktuellen und kontroversen Themen äußern, wie z.B. der Migration, dem Bürgergeld, der AFD, den Wärmepumpen oder der Ukraine, dann tun wir das nicht immer nach eingehender Analyse der Dinge und weil wir etwas zur Lösung des jeweiligen Problems beitragen können, sondern manchmal tun wir es auch einfach nur, um uns zu positionieren? Die Frage die sich dabei stellt ist natürlich auch: Warum, äußern wir uns überhaupt?

Wir sollten uns eigentlich viel öfter fragen, ob das was wir von uns geben, wirklich relevant ist, denn wenn wir ehrlich sind, wissen wir, dass das oft nicht der Fall ist. Dennoch wollen wir uns an der Debatte beteiligen und da wird es kompliziert. 

Natürlich gehen wir zumeist davon aus, dass das was wir sagen, unsere Meinung ist und das es wichtig wäre, sie zu äußern, aber wie sehr sind wir eigentlich bereit und in der Lage, wirklich ein unabhängiges und fundiertes Urteil zu fällen? 

Wirklich frei wären wir, wenn wir das, was wir denken, ungefiltert von uns geben würden, ohne darüber nachzudenken, welche Folgen das für uns haben könnte. Das tun die meisten von uns aber selten. 

Wir wissen, dass es nie verkehrt ist, wenn man eine Meinung von sich gibt, die das Umfeld im wesentlichen teilt. Sei es nun im Job, in der Familie, unter Freunden oder in einer Partei. Wenn wir mit unserer Meinung in etwa das treffen, was unser Umfeld glaubt, dann erfahren wir Anerkennung, Zuspruch und Sympathie. Und vielleicht bringt uns das sogar Vorteile. Wenn wir aber eine abweichende Meinung äußern, dann erfahren wir zumeist das genaue Gegenteil. 

Leider kommt es recht selten vor, dass sich jemand über eine abweichende Meinung freut, obwohl die einen ja auch weiterbringen könnte. Eigentlich sollte es möglich sein, eine andere Meinung einfach anzunehmen oder auszuhalten, denn dümmer können wir dadurch ja nicht werden. Offensichtlich sind wir darin aber nicht so gut. 

Heute in Zeiten von Social Media ist es noch schwerer, denn dort sagen viele vieles und die wenigsten wissen wirklich etwas von dem, über das sie was sagen oder schreiben. Oft geht es gar nicht darum, wirklich einen Kontext zu beleuchten und schon gar nicht darum, die eigene Positionen in Frage zu stellen. Oft geht es primär darum, dazuzugehören und sich durch die Bestätigung gut zu fühlen.

In einer immer komplexer werdenden Welt ist es ja auch nicht leicht, zu all den Dingen eine fundierte Position zu haben. Dazu kommt das Problem, dass sich im öffentlichen Diskurs sehr schnell eine Polarisierung ergibt und man sich dann im Grunde nur noch für die eine oder die andere Seite entscheiden kann. 

Oft passiert es, dass medial Dinge als moralisch richtig oder eben moralisch falsch „geframed“ werden und wir dann, wenn wir uns äußern, uns entscheiden müssen. Gar nicht so sehr, was richtig oder falsch ist, sondern auf welcher Seite wir stehen wollen. 

Die Debatte verfällt oft in Extreme, die Verortung im moralischen Spannungsfeld erfolgt innerhalb weniger Stunden und alle Seiten blenden Teile der Realität aus, vor allem, die, die eigene Position in Frage stellen könnten. Die Positionen werden zu Glaubensbekenntnissen und das paradoxerweise oft von Menschen, die sich selber für sehr aufgeklärt und andere für dumm halten. 

Wenn wir nun eine, von der Seite, die wir im Grunde für die moralisch richtige halten, abweichende Meinung haben, stehen wir vor der Frage, ob wir uns 

a) überhaupt äußern sollen und so das Risiko eingehen, missverstanden zu werden oder in eine Position gedrückt zu werden, in der wir uns gar nicht wohl fühlen oder

b) wir uns bei unserer Aussage nur auf die Teile der Realität konzentrieren, die nicht so verfänglich sind. 

Auch neigen wir oft dazu, uns auf andere beziehen, die uns dann als Beleg dafür dienen, dass unsere Meinung richtig ist und wir auch in der Wahrnehmung so verortet sind, wie wir gerne verortet sein wollen. Oft verdrängen wir dabei, dass der Bezug auf andere auch oft die Flucht vor der eigenen Auseinandersetzung mit einer Sache sein kann. 

In den sozialen Medien wird uns, wenn wir eine unabhängige oder unpopuläre Meinung äußern, gerne vorgeworfen, dass wir uns anmaßen würden, Experten zu sein – oft von Leuten, die selber wenig Ahnung haben. Interessanterweise wirft uns das niemand vor, wenn wir seine Meinung teilen, obwohl diese ja auch in diesem Fall auf der gleichen Grundlage und mit den gleichen Fähigkeiten formuliert wird. Offensichtlich geht es gar nicht um den Austausch von Gedanken, sondern ums Rechthaben. 

Auf alle Fälle sind wir aus meiner Sicht in solchen Situationen oft nicht mehr wirklich frei. Ist man Rentner oder Millionär ist es natürlich etwas einfacher, weil man unabhängig ist. Ist man aber jung und am Anfang seiner Karriere, wird es schwieriger. 

Wenn ich z.B. ein junger Journalist bin, dann kann es für mich das Ende der Karriere bedeuten, wenn ich von anderen auf der „falschen“ Seite verortet werde. Da ist es besser sich vorsichtig oder aber anpassend zu verhalten. Wirklich frei ist man in so einer Situation jedenfalls nicht, auch wenn man eigentlich alles sagen und schreiben darf, was man will. Für Politiker gilt das nochmal in verstärktem Maße aber im Grunde für jeden der in einem bestimmten Kontext erfolgreich sein will.

Es ist natürlich nicht leicht, sich einzugestehen, dass man nicht wirklich frei ist und deshalb neigen wir dazu, umso fester davon überzeugt zu sein, dass das, was wir sagen, richtig ist, und vielleicht beeinflusst genau dieser Wunsch auch unser Denken und unser Urteil. Denn es ist so viel angenehmer, dazuzugehören und Zustimmung zu bekommen, als Ablehnung und Kritik oder sogar Verurteilung zu erfahren. 

Wir sollten uns daher immer wieder fragen, wie sehr uns der sogenannte Mainstream oder die jeweilige Position unserer Umgebung beeinflusst? Wie stark ist der Wunsch nach Anerkennung im Spannungsfeld zur eigenen Individualität? Wie fundiert und unabhängig ist unser Urteil und wo machen wir uns vielleicht selber etwas vor? 

Wieviel von dem was wir meinen, haben wir uns selber erarbeitet und was haben wir einfach ungeprüft übernommen, von Leuten, die wir für klug halten oder weil es sich richtig anfühlt. 

Neben den „Drei Sieben des Sokrates“, also den Fragen, ob das was wir sagen sollen wichtig, gut und nutzbringend ist, sollten wir uns also auch immer fragen, ob wir vielleicht mit unserer Äußerung jemandem gefallen wollen, oder vermeiden wollen, nicht zu gefallen und ob wir auch gewillt sind, unsere Positionen wirklich in Frage zu stellen. 

Wir sollten uns immer wieder fragen, wie frei wir eigentlich wirklich sind und was unser Denken und Handeln ggf. beeinflusst.

Wenn wir das verstanden haben, sind wir noch nicht automatisch frei in dem was wir sagen oder schreiben aber zumindest wissen, wir was wir tun, und das ist ein erster aber wichtiger Schritt zur Freiheit. 

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