Vor ein paar Monaten bin ich gefragt worden, ob ich bereit wäre, im Rahmen eines Kunstprojektes ein Interview zum Thema Würde zu geben. Als ich die Einladung bekam, fiel mir erstmal auf, dass ich bislang über diesen Begriff noch gar nicht wirklich nachgedacht hatte. Dabei ist dieser Begriff doch eigentlich oft gebraucht und offensichtlich wird ihm eine so große Bedeutung zugemessen, dass die Würde sogar Eingang ins Grundgesetz gefunden hat.
Worüber ich viel nachgedacht hatte, waren andere Begriffe, wie z.B. Respekt und Werte. Erst nach und nach wurde mir klar, dass beide sehr viel mit Würde zu tun haben.
Werte sind uns als Freimaurer und Freimaurerinnen natürlich von besonderer Bedeutung. Den Menschen unabhängig von seinem Kontext zu akzeptieren und dafür zu sorgen, dass jedes Individuums ein Baustein im Bauwerk des Tempels sein kann, unabhängig von seiner Form und seiner Beschaffenheit. Genauso ist uns bewusst, dass dort wo ein Stein zu schwach ist, die anderen ihn durch die richtige Architektur stützen müssen. Was aber bedeutet Würde für uns?
Würde ist eine Grundvoraussetzung für die Existenz des Individuum und auch die Gesellschaft als Ganzes. In unsere Gesellschaft wird der Wert eines Menschen oft über seinen sozialen Status bemessen, das scheint mir ein grundsätzliches und fatales Mißverständnis zu sein.
In meinem Arbeitsbereich im Ministerium für Wirtschaft und Arbeit habe ich viel mit Menschen zu tun, deren Würde nicht immer gesichert ist. Ob man arbeitslos ist oder auch eingeschränkt, sehr schnell gerät man in bürokratische Kontexte, die es nicht immer schaffen, die Würde des Menschen in den Fokus zu nehmen. Dabei wäre es oft so einfach, die Würde zu wahren.
Die Arbeitswelt und die ganze Gesellschaft transformieren sich gerade. Alles verändert sich und das geschieht nicht ohne Folgen. Für viele Menschen ergeben sich neue Chancen und für viele auch große Herausforderungen und Risiken. Wenn wir diese Veränderungen als befriedete Gesellschaft meistern wollen, brauchen wir ein neues und allgemein akzeptiertes Werteverständnis, aufbauend auf Toleranz, Respekt und Freiheit.
Es braucht ein kollektives Verständnis dafür, dass jeder Mensch wertvoll ist, alleine weil er Mensch ist. Da reicht es nicht, dass das im Grundgesetz steht. Wir müssen Wege finden, dass wir es auch in unseren Herzen tragen.
Wir brauchen ein gesellschaftliches Klima, in dem eine Pflegefachkraft, eine Reinigungskraft oder ein ehrenamtlich tätiger Mensch nicht weniger anerkennungswert ist, wie ein Vorstandsvorsitzender, ein Politiker oder ein Fußballmanager.
Der Begriff „Leistungsträger“ braucht aus meiner Sicht definitiv eine Neudefinition, denn es sind nicht die mit viel Geld alleine, die Leistung erbringen. Auch die Kassiererin, die Pflegerin, die Polizistin und der Straßenkehrer erbringen große Leistungen und manche alleinerziehende Mutter, die ihre Kinder durchbringen muss vielleicht sogar mehr als die Chefin eines großen Unternehmens. Um jedem Menschen eine Perspektive in Würde zu geben, brauchen wir Chancengerechtigkeit, die Möglichkeit für jeden, sich gemäß seiner Fähigkeiten entwickeln zu können, unabhängig von seiner sozialen Herkunft, Nation oder sonstigen Zuschreibungen.
Auf diesem Weg wird es vielleicht notwendig sein, das Primat der Lohnarbeit zu durchbrechen. Das auch vor dem Hintergrund dass wir trotz großer Fachkräftebedarfe immer mehr Menschen haben werden, die in der Arbeitswelt nicht mehr gebraucht werden, oder die dafür nicht geeignet sind. Und das muss nicht daran liegen, dass sie keine Lust haben, oder dass sie nicht intelligent genug sind, sondern vielmehr daran, dass ihre Rahmenbedingungen es ihnen oft einfach nicht möglich machen, einer Arbeit so nachzugehen, wie andere. Das kann an der Sozialisation, der Familie, dem Wohnort oder auch an psychischen oder physischen Erkrankungen liegen.
Wenn wir diesen Menschen ihre Würde nicht lassen, werden sie sich diese Würde suchen und das vielleicht in politischen Extremen oder religiösem Fanatismus.
Niemand will eine gespaltene Gesellschaft, in der die einen arbeiten und viel Steuern zahlen und die anderen keine Perspektive mehr haben.
Daher braucht es Möglichkeiten zur sozialen Teilhabe auf regionaler Ebene. Wir brauchen neue Konzepte, wie jeder Mensch zur Gesellschaft beitragen kann, Anerkennung bekommt und jeder für seinen Beitrag wertgeschätzt wird.
Darüber sollten wir nachdenken und forschen, denn das wäre eine kluge Investition in die Zukunft.
Als reiches Land sind wir in der Lage, jedem einen Lebensstandard zu garantieren, der ein Leben in Würde ermöglicht. Wir müssen uns jeder für sich fragen, warum wir diesen Zustand nicht herstellen. Letztendlich ist es eine Frage von Prioritäten und von Verteilung.
Bei den mehr als einhundert Interviews, die im Rahmen der Ausstellung vor der Bremer Kunsthalle geführt wurden, wird deutlich, dass der Begriff Würde auch vom Geschlecht, von der Herkunft und dem sozialen Status abhängt. Da, wo viele Frauen von ihrer verletzten Würde berichten erzählen viele Männer davon, wie sie dafür sorgen wollen, dass andere Menschen in Würde leben wollen.
Das zeigt, dass es viele verschiedene Perspektiven gibt aber auch, dass die Würde für jeden wichtig und ja, auch lebenswichtig ist. Aber es führt auch kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass es Menschen gibt, denen Würde in die Wiege gelegt wurde und andere, die jeden Tag darum kämpfen müssen.
Jeder von uns sollte daher dazu beitragen, dass kein Mensch um seine Würde kämpfen muss. Wer von uns privilegiert ist, hat eine Verantwortung für die Würde anderer und jeder, der nicht auf der Sonnenseite des Leben steht hat ein Recht auf seine Würde.
Was können wir tun, um Würde zum Kriterium unseres Handelns zu machen?
1. Wir können zu unseren Werten zu stehen, auch wenn das nicht allen gefällt.
2. Wir sollten Ungerechtigkeit niemals akzeptieren und dort wo wir können, offen benennen
3. Setzen wir uns für Menschen ein, die sich nicht selber helfen können
4. Behandeln wir jeden Menschen gleich, unabhängig von seiner Position und seinem Status
5. Begegnen wir Menschen mit anderen Positionen und Meinungen freundlich und
respektvoll
6. Ermöglichen wir es jedem in unserem Umfeld, in seiner Kraft zu sein und im Rahmen seiner
Möglichkeiten zu agieren.
7. Seien wir uns bewusst, dass die Menschen nicht gleich sind und jeder in seinem Bereich
und nach seinen Fähigkeiten das Beste tun kann.
8. Erkennen wir unsere eigenen Grenzen und akzeptieren wir diese.
Schließen möchte ich mit einem Satz, der in dem Projekt tatsächlich zweimal von unterschiedlichen Personen gesagt wurde. Einmal von einer jungen schwarzen Frau und einmal von einem alten weißen Mann:
„Würde bedeutet vor allem, immer wieder das eigene Licht zu dimmen, damit ein anderes heller leuchten kann.“

Vielen Dank an Vera Zimmermann und ihr Team vom Kulturladen Huchting für dieses Mammutprojekt, dass so viel ausgelöst hat.